Das große Derby: KEC vs DEG
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Zwei Derbys und viele Eishockey-Wahrheiten

Im Stakkato des Liga-Alltags haben die Kölner Haie seit dem Derbysieg in Düsseldorf schon wieder eine Partie gespielt und verloren. Trotzdem lohnt es sich, die beiden zurückliegenden Derbys genauer anzugucken, denn in ihnen lassen sich viele Eishockey-Wahrheiten entdecken. 

Eishockey-Fan wird man nicht im Oberrang
Im Eishockey gibt es viele Wahrheiten, die sich über die Jahre jedem Fan erschließen. Dazu zählt zum Beispiel, dass niemand im Oberrang der Kölner oder der Düsseldorfer Arena zum Eishockeyfan wird. Die Faszination des Spiels, welche in der Kombination aus hoher Geschwindigkeit, technischer Eleganz, rustikaler Härte und entschlossenem Handeln besteht, kann man aus der Ferne nur schwer „fühlen“. Erst wenn man das Geschehen im Unterrang verfolgt, ist man nah genug, um diese Elemente „aufnehmen“ und das Spiel dann nie wieder loslassen zu können.

Das Beste, was man nach einem Spielbesuch im Oberrang (z.B. durch eine Freikarte) erwarten kann, ist also, dass jemand wiederkommt und das Spiel aus der Nähe verfolgen will. Ist er dann der Faszination des Eishockeysports an sich verfallen, ist der erste Schritt gemacht. Jetzt erst kann sich langsam die Identifikation mit dem KEC bzw. der DEG aufbauen.

Haie-Fan wird man im Kai-Hospelt-Dome
Eine zweite Wahrheit ist, dass man erst in den Auswärtsfahrten und insbesondere bei den Spielen beim Derbyrivalen aus Düsseldorf zum Fan wird. Alles das, was das Derby in seinem Kern ausmacht, lernt man erst zu genießen, wenn man gegen die zahlenmäßige Übermacht der Heimfans steht. Eine moderne Version von: Viel Feind, viel Ehr. 

Tore und Siege auf fremdem Eis „schmecken“ großartig. Doch gibt es noch einen Nebeneffekt: Hat man einmal davon gekostet, schmecken plötzlich auch die Derby-Tore, Derby-Schlachten und Derby-Siege auf eigenem Eis weitaus besser.

Auf Kölner Seite wurde das Ritual verstanden, auf früher undekbare Weise bedient und so positive Entwicklungen weitergeführt. Die Zeiten, in denen die Stehplatzkurven des KEC so überaltert waren, dass die Preise für Schüler-Dauerkarten radikal gesenkt werden mussten, sind längst vorbei; die Entwicklung und Altersdurchmischung der Fanszene scheint absolut positiv zu verlaufen.

Die Fangemeinschaft der DEG hingegen hatte sich vor vielen Jahre von diesem Effekt selber abgekoppelt, als sie sich auf das Narrativ verfestigte, dass der Gästeblock in Köln zu abgelegen sei, als dass es sich lohnen würde, ihre Mannschaft im Derby in Köln anzufeuern. Wie bei der Heimniederlage der Haie in der eigenen Arena zu sehen war, hat sich der Effekt inzwischen abgeschwächt. Von den Zeiten, als die DEG die größte Anhängerschaft im deutschen Eishockey hinter sich vereinigen konnte, ist die Düsseldorfer Fanszene aber weit entfernt.

Die Diskussion um den Ort des Gästeblocks ist müßig, denn er ist schlicht nebensächlich. Das Derby besucht man des Derbys wegen und nicht um „nur“ ein Eishockeyspiel zu sehen. Es geht – biologisch betrachtet – um die Sinne: Der Cocktail, der die Faszination ausmacht, wird durch die Sinne befüllt: Das Singen und das Hören, das Wahrnehmen der visuellen Eindrücke, das Schmecken und das Fühlen.  

Eishockey-Puristen mögen entgegnen, dass alles nebensächlich ist und nur die stille Analyse des Spiels aus nächster Nähe zählt – es sei ihnen gegönnt. Aber niemand bucht Plätze in einem Gästeblock beim Derby, um schweigend Spielzüge und taktische Varianten nachzuvollziehen.

Derbys haben Konsequenzen (für Fans)
Eine dritte Wahrheit hat Marcel Müller nach dem Derbysieg im Interview ausgedrückt. Er sagte, dass das, was vor 5 Spielen war, heute „scheißegal“ sei. Die höchste Derbyniederlage in der Geschichte der DEL ist also unbedeutend?

Damit hat er aus Spielersicht absolut recht. In einem Derby gibt es drei Punkte, wie in jedem anderen Spiel auch. Sich mit einer Niederlange länger als nötig zu beschäftigen, ist für einen Spieler kontraproduktiv. 

In den fünf Spielen seit der Derbyniederlage siegten die Haie einmal glücklich und viermal verdient. Nach vier Siegen traf der KEC wieder auf die DEG und spielte deutlich verbessert. Die Eishockey-Wahrheit ist: Welche gravierenden Fehler auch immer in Einstellung, Leistungsbereitschaft und taktischer Ausrichtung eine harsche Niederlage verursacht hat – es gibt keine Probleme in einer Mannschaft, die ein 5-Game Winning Streak nicht beheben kann. Dass ein Derbysieg die Serie krönte, ist nur das Sahnehäubchen. 

Das Gespenst Rick Looker geht um
Für Fans tragen die Derbys hingegen natürlich dauerhafte Konsequenzen: So hat Rick Looker nach 2006 in Köln niemals wieder Beliebtheit erlangen können, um es positiv zu formulieren. Andererseits hat sich etwa Kai Hospelt durch den ersten in der Düsseldorfer Arena erzielten Treffer als Namensgeber des „Kai-Hospelt-Domes“ in der Geschichte des Derbys dauerhaft verankert. Es gibt Fans, für die ist eine Saison gelungen, wenn nur der Großteil der Derbys gewonnen wird.

Große Namen und große Erinnerungen sorgen für große Erzählungen
Das „große Derby„, die „Mutter“ aller Derbys – die Spiele zwischen dem KEC und der DEG tragen viele Namen. Nicht umsonst, denn wenn man sich sonst auf wenig verlassen kann im rheinischen Eishockey, dann doch auf ausverkaufte Arenen, wenn das Spiel der Spiele ansteht. 

Für beide Clubs ist das Derby absolut identitätsstiftend, weil es im Hetztempo der Spiele alle zwei bis drei Tage feste Anker bietet. Spiele gegen Wolfsburg, Augsburg, Schwennigen oder Straubing sprechen den Kern der Kölner Eishockeyfans dahingehend an, weil diesen das Eishockeyspiel als Selbstzweck genügt. Sie kennen die sportliche Entwicklung der Gegner, sie kennen deren Spieler und können das Spiel einschätzen. Das ist für den Großteil der Haie-Fans aber nicht der Fall.

Wenn man sich vereinzelte Spiele aussucht, die man besuchen möchte, wählt man eben oft das Derby. Denn das Aufeinandertreffen der „ewigen Rivalen“ ist mit großen Namen, großen Geschichten und großen Erzählungen verknüpft. Nahezu jeder Fan, wie lange er auch dabei sein mag, kann seinen Freunden seine ganz eigene Geschichte des Derbys erzählen, Anekdoten einbauen und eigene Erzählstränge knüpfen – auch wenn er das Auf und Ab des KEC sonst nur beiläufig verfolgt. 

Das Derby hat also gewissenmaßen eine inklusive Funktion. Es ist der Kitt, der Fans emotional an den Club bindet, die sonst eher entfernt vom tagtäglichen Geschehen an der Gummersbacher Straße stehen und die sich so trotzdem als Haie-Fans fühlen können. 

Der Booster für die Clubkassen
Für die Clubkassen des KEC sind die Spiele gegen die rheinischen Rivalen und Mannheim von kaum zu überschätzender Bedeutung. In Vor-Pandemie-Jahren kam so eine weitere Wahrheit zum Tragen: In diesen Spielen (und den Playoffs ab dem Halbfinale) wird das Geld verdient, welches über schlecht besuchte Spiele hinweghilft. 

Während Mannschaften in kleinen Hallen mit jedem Spiel Geld verdienen und möglichst viele Spiele gut für ihr Budget sind, ist das bei den Kölner Haie nicht der Fall. In den Jahren nach 2010 wurden zwar für den KEC günstigere Verhältnisse im Arena-Vertrag ausgehandelt, dennoch gilt das Prinzip nach wie vor. 

Dementsprechend bemühen sich die rheinischen Rivalen um das emotionale Aufpolieren der Derbys abseits des Eises. Während die DEG sich in den letzten 10 bis 15 Jahren darauf konzentriert peinliche Dinge zu tun und dann so zu tun, als wären diese witzig, greift der KEC auf das Allheilmittel zurück und rührt reflexartig – natürlich – am kölschen Gefühl.

Spielt die Band, verliert der KEC
Die Versessenheit der Haie, insbesondere bei Derbys musikalische Unterstützung durch eine der vielen Kölsch-Bands einzubauen, hat sich leider indes nur im seltensten Fall ausgezahlt. Und so hat eine Wahrheit inzwischen fast sprichwörtlichen Charakter: Spielt eine Band auf dem Eis, verliert der KEC (mit einer hohen Wahrscheinlichkeit).

Und hier muss nun endlich abschließend der Bogen zur aktuellen Situation geschlagen werden.

Top eingestellte DEG unter Kreis 
Legt man neben der aktuellen Saison beispielsweise noch die letzten drei Jahre zugrunde, hat der KEC ein einziges Haimspiel (von 7) gegen die DEG gewonnen. Immerhin drei Auswärtssiegen stehen 4 Niederlagen in Düsseldorf gegenüber. 

Es ist kaum von der Hand zu weisen, dass die DEG unter Harold Kreis immer und immer wieder perfekt eingestellt zum Derby antritt – insbesondere auswärts. Die DEG kann noch so sehr straucheln – fährt sie nach Köln, zieht sie sich im Zweifel an den eigenen Haaren aus dem Sumpf und liefert ein großes Spiel ab. 

Man kann darüber streiten, ob die 1:6-Niederlage gegen einem DEG-Rumpfkader der Höhepunkt dieser Entwicklung war. Berhard Ebner sagte im Interview nach dem 6:1-Sieg auf die Frage, ob dies sein schönstes Derby gewesen wäre, dass auch die beiden Wintergame-Siege „nicht so schlecht“ gewesen wären. Was schön für Bernhard Ebner ist, kann für den KEC nur schlecht sein.

Zwei Seiten einer Medaille 
Und genau das sollte dem KEC Sorgen bereiten. Niederlagen gehören im Sport dazu, dennoch kann es einem Club nicht gefallen, wenn immer und immer wieder auf der größten Bühne im europäischen Eishockey verloren wird. 

Denn auch wenn aus Spielersicht nur 3 Punkte verloren werden – insbesondere in Zeiten, in denen der KEC um jeden Zuschauer kämpfen muss, ist es natürlich überaus kontraproduktiv, wenn ausgerechnet bei vollen Zuschauerrängen die schwächste Leistung abgeliefert wird.

Auch wenn es aktuell zu einer Wahrheit zu werden scheint, dass die DEG beim Derby in Köln den Haien den Schneid abkauft, so gibt es doch die Kehrseite der Medaille. Und auf der ist zu sehen, dass der KEC seinerseits in Düsseldorf deutlich stärker aufspielt und regelmäßig(er) die Siege mitnimmt. 

Auch am vergangenen Freitag haben die Fans vor Ort wieder die volle Bandbreite des Derbys vor Ort aufgenommen. Der Club hat auf den sozialen Medien die Rituale nach Spielschluss genüsslich geteilt und die Fans haben die Videos nicht weniger genüsslich aufgenommen. So schön kann Eishockey sein!

Doch obwohl das im Sinne der Fanbildung wiederum, wie beschrieben, extrem wertvoll ist, wiegt der Schaden des desaströser Haimspiele doch größer, als der Gewinn starker Auswärtsspiele.

Vom Trend zur Wahrheit
Eine Wahrheit im Eishockey-Sport entsteht nicht über Nacht, sondern nimmt die Entwicklung vom einmaligen Ereignis, über einen Trend, hin zu einer dauerhaft verfestigten Struktur. 

Das bedeutet auch, dass man Trends umkehren kann. Die DEG-Fans könnten etwa durch mehr Engagement beim Auswärtsderby in Köln der selbstverschuldeten Verzwergung ihrer Fanszene entgegenwirken und eine Trendumkehr vorantreiben. 

Genauso kann der KEC auch das Muster des Schwäche auf eigenem Eis überwinden. Vielleicht gelingt dies sogar noch vor der Pensionierung von Harold Kreis. Das Auftreten auf fremdem Eis, auch am vergangenen Freitag, zeigt ja, wie es laufen kann.

Um ganz viele Eishockey-Wahrheiten wieder positiv auf die KEC-Seite zu wenden: Liebe Haie, dreht bitte auch ihr den Trend. Nehmt euch ein Beispiel an der Auswärtsleistung und macht die Arena wieder zur Festung bei Derbys. Die Fans werden es euch danken!

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(C) Beitragsbild von mcfly37.de

2003 habe ich mit Dennis Haimspiel.de gegründet. Bis 2020 berichtete das Haimspiel.de-Team in unzähligen Berichten, Interviews, Liveradio- und Podcast-Sendungen und einem Liveticker von den Kölner Haien. Wir initiierten die "Wir sind Haie!"-Kampagne, deren Logo und T-Shirt ich ebenso gestaltete, wie das Logo des Fanprojekts der Kölner Haie. Meine Staatsexamensarbeit habe ich zum Thema "Eishockey in Deutschland bis 1945" geschrieben und wurde zwei Mal in den Vorstand des Kölner EC "Die Haie" e.V. gewählt. Nach dem Ende von Haimspiel.de schreibe ich nun auf Haieblog.de.

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